Geschichte des ÖGD

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Graf Maximilian Mongelas

Der Begründer des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Freistaat Bayern im heutigen Sinn ist Graf Maximilian Joseph von Montgelas. Der große Reformer der Staatsverwaltung in Bayern, gründete im Jahre 1807 als bayerischer Minister des Inneren eine Gesundheitsverwaltung als Teil dieses Ministeriums. Im Jahr 1806 bestimmte König Max I. Josef die Gründung des Innenministeriums durch „königlich allerhöchste Verordnung die Ministerial-Organisation betreffend“ vom 29. Oktober 1806, die am 21. November 1806 in Kraft trat.

An die Spitze des Innenministeriums berief König Max I. Josef seine rechte Hand: Graf Maximilian von Montgelas. Zum Aufgabenbereich zählten unter anderem Kultus- und Unterrichtswesen, Staats- und Landespolizei, Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, Wasser-, Straßen- und Brückenbau, Medizinalwesen und Kommunale Angelegenheiten.

Als erster bayerischer Minister des Inneren gründete Graf Montgelas im Jahre 1807 eine Gesundheitsverwaltung als Teil dieses Ministeriums.

Am 8. September 1808 wurde das „Organische Edikt über das Medizinalwesen im Königreich Baiern“ erlassen, mit dem das Medizinalbüro als Abteilung des Innenministeriums geschaffen wurde.

Montgelas Ministerium des Innern war in fünf Abteilungen (Sektionen) untergliedert:

  1.     Polizeisektion mit Medizinalbüro
  2.     Sektion für öffentliche Unterrichts- und Erziehungsanstalten,
  3.     Generaldirektion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaus,
  4.     Sektion für kirchliche Gegenstände, zugleich Generalkonsistorium für die protestantischen Konfessionen
  5.     Ministerialstiftungs- und Kommunalsektion.

Das Medizinalwesen hatte zunächst die öffentlichen Gesundheits- und staatlichen Überwachungsaufgaben wahrzunehmen. 

Biographisches - Graf Montgelas

Graf Montgelas (sprich: mong-sch'la) wurde am 10. September 1759 in München als Sohn eines Obersten aus savoyardischem, in Bayern eingebürgerten  Geschlecht  geboren. Er starb am 14. Juni 1838 in München.

Nach den ersten Jahren der Erziehung durch seine Mutter wurde er am geistlichen Hof zu Freising und schließlich in Nancy erzogen und ausgebildet. Zwischen 1768-76 besuchte er die internationale Diplomatenschule des Christian Wilhelm Koch, die ihn mit den Ideen des bürokratischen, zentralistischen und omnipotenten Staates vertraut machte. Nach seiner Zeit in Nancy studierte er in Straßburg. Es folgte ein Aufenthalt an der Universität zu Ingolstadt. Dann wurde er im Jahr 1777 kurbayrischer Hofrat und 1779 Kammerherr des Kurfürsten Karl Theodor sowie Rat bei der Bücherzensur.

Im Jahr 1785 verlor er jedoch diese Stellen wegen seiner Hinneigung zu den Illuminaten und lebte einige Zeit am Hofe zu Zweibrücken. Bei Karl-August in Ungnade gefallen, diente er dort dessen Bruder Max-Joseph als Privatsekretär. Er wurde 1795 zum Regierungsrat  und nach dem Regierungsantritt von Max-Joseph 1976 zum „Wirklichen Geheimen Rat“ ernannt. In dieser Zeit vertrat er Max-Joseph am Rastatter Kongress und erwarb so Erfahrungen in der Außenpolitik.

Er wurde er durch Maximilian Joseph 1799 Minister der auswärtigen Angelegenheiten, 1803 der Finanzen, 1806 des Innern und 1809 wieder der Finanzen ernannt. In den Grafenstand wurde er 1809 erhoben.

In diesen Stellungen erwarb sich Graf Montgelas um die Hebung des bayrischen Volks- und Staatslebens unbestreitbare Verdienste, indem er die zahlreichen Reste des Mittelalters beseitigte und nach französischem Muster – durchaus etwas gewalttätig, man denke  u.a. an die Säkularisation in dieser Zeit – durchgreifende Reformen einführte.

Seine auswärtige Politik bestand im Anschluss an Frankreich und trug eine bedeutende Vergrößerung des Staatsgebiets ein. Montgelas Wunsch aber, dass  Bayern Deutschlands mächtigster Staat werde, wurde jedoch nicht erfüllt. Bayern konnte aber auf dem Wiener Kongress den Umfang des Gebietes und seine Souveränität behaupten.

Links:

  •     Montgelas - Wikipedia-Artikel
  •     Ansbacher Mémoire
  •     Bayerische Staatsbibliothek
  •     Zeitschrift fuer Bayerische Landesgeschichte - Band 33 (1970)
  •     Haus der Bayerischen Geschichte

Landesphysikatsberichte

Zu den Aufgaben der Landesphysici gehörte ein weites Spektrum an Themen, die auch heute noch aktuell sind, wie die Bereiche Hygiene, Trink- und auch Abwasser, Umwelt­medizin und die Beurteilung und Förderung gesund­heits­relevanter Lebens­be­dingungen.

Schon damals waren, wie auch heute noch viel­fältige und sich immer wieder ändernde Aufgaben zu bewältigen. Wie vielfältig diese Aufgaben waren, zeigt sich in den Landes­physikats­berichten, die oft sehr detailliert und kompe­tent die Geo­graphie und Geo­logie, die Arbeits-, Umwelt- und Lebens­bedingungen sowie den Gesundheits­zustand der Bevölkerung beschreiben.

Die Physikatsberichte wurden zwischen 1858 und 1861 von den damaligen Land­gerichts­ärzten für alle ehe­maligen bayerischen Land­gericht­sbezirke erstellt. Der liberal eingestellte König Maximilian II. von Bayern wollte genaue An­gaben über die Lebens­verhält­nisse, Beschwer­den und Wünsche seiner Bevölkerung haben, um entsprechend reagieren zu können. So entstand Anweisung an die Bezirks­ärzte, sogenannte Physikats­berichte (Physikat — Gesundheitsamt) zu erstellen. Die Physikats­berichte befinden sich heute in der Bayerische Staatsbibliothek, an die sie 1913 vom Statistischen Landes­amt abgegeben wurden.

Sie bieten eine Vielzahl von Infor­ma­tionen. So finden sich neben Infor­mationen zu Gesundheits­themen im engeren Sinn ethnolo­gische und historische Beschrei­bungen und Angaben zur Topographie, Beschreibungen der Landschaft, geographische, geologische, landwirtschaftliche oder industrielle Informationen, Wetterbeschreibungen, Flora und Fauna, Klima sind zu finden. Auch statistische und ethno­graphische Angaben wie die Zahl der Männer, Frauen und Kinder, durch­schnitt­liche Familien­stands­angaben, Sterberate, Todes­ursachen etc. und manchmal auch Angaben zur Zahl der Menschen die auswan­derten sind in vielen der Berichte enthalten.

Auch die Lebens­umstände: Armut oder Reichtum, Anzahl Einwohner, Familien­größen, detaillierte Schilderungen der Häuser, wie die Lebens- oder Schlaf­räume aussahen, die hygieni­schen Bedingungen, die Kleidung der Menschen, die Mentalität der Bewohner im Landgerichtsbezirk, die Ernährung, die Arbeit­sbedin­gungen, Wohl­haben, Ablauf von Hoch­zeiten, Durch­schnitts­alter bei Heiraten, Kinder­erziehung, religiösen Bräuche und Aber­glauben, festliche Veranstaltungen u.a. findet sich in den Physikats­berichten.


Medizinische Topographien

Die Medizinischen Topo­graphien des 18. und 19. Jahrhunderts sind statisti­schen Betrach­tungen und Ver­öffent­lichungen mit einer Mischung aus beschrei­benden Texten und Tabellen. Sie sind frühe Zeug­nisse dessen, was wir heute am ehesten mit dem Begriff Gesund­heits­bericht­erstattung benennen würden. Die Themen umfassen viele Aspekte eher im Sinne einer Kultur­anthro­pologie. Diesen Charakter tragen auch die von Amtsärzten der bayerischen Land­gerichte 1857/61 erstellten Physikats­berichte.

Viele der medi­zinis­chen Topo­graphien entstanden zwischen 1780 und 1850. Sie gehen bis auf Leibniz zurück und gelten bei Historikern seit langem als aussagekräftige Quellen für die Sozial­ge­schichte des Gesund­heits­wesens.

Da neben den Erkran­kungen auch die Rahmen­be­dingungen des mensch­lichen Lebens Gegen­stand der medizinischen Topo­graphien sind finden sich Infor­mationen zu Wohn- und Lebens­bedingungen, des Klimas aber auch den Umwelt­bedingungen. Beschreibung der Luftrein­haltung, Fäkalien­entsorgung und Wasser­quali­tät stehen neben Angaben zu Erkrankungen und Todes­ursachen.

Vorläufer sind ab dem Spät­mittelalter und in der Frühen Neuzeit zahlreiche "protostatische" Unterlagen im Rahmen des intensiveren Zugriffs der Landesherrschaft auf ihre Untertanen. Unter diese Vorformen fallen die Besitzverzeichnisse (Urbare) ab dem Hochmittelalter sowie seit dem 15. Jahrhundert die immer grösser werdende Zahl an Herdstättenbeschreibungen, Steuerbüchern, Musterungslisten, Hofanlagsbuchhaltung usw. Sie sind Anfänge heutiger Statistik und GbE.

Die Geschichte der amtlichen Statistik in Bayern begann 1770/71 mit einer ersten Volkszählung im Kurfürstentum Bayern, deren Ergebnisse (überliefert im Bayerischen Hauptstaatsarchiv) offensichtlich nicht genügten. So führte Johann Nepomuk Freiherr von Dachsberg (1733-1798) zwischen 1771-1781 eine erheblich umfangreichere Zählung durch, die nach ihm benannte nicht zur Veröffentlichung bestimmte "Dachsbergsche Volksbeschreibung". Überliefert sind die Tabellen ab der Ebene der Landgerichte (Physikatsberichte). Da sich der Erhebungszeitraum der Zählung über 10 Jahre erstreckte, sind die Ergebnisse nicht allzu genau.


Beispiele für Medizinische Topographien


Der Öffentliche Gesundheitsdienst in Bayern zwischen 1900 und 1950

Im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts bestand im ÖGD Bayerns eine Dominanz der staatl. Eingriffsverwaltung im Sinne der klassischen Gesundheitspolizei und ihres Vertreters des Bezirksarztes.

Einige Kommunen außerhalb Bayerns, insbesondere in den bevölkerungsreichen Gebieten Westpreußens, stellten zu Beginn des Jahrhunderts zunehmend Stadtärzte ein und bauten kommunale Gesundheitsämter in den großstädtischen Ballungsgebieten auf, die vor allem von sozialdemokratisch und linksliberal orientierten Kräften getragen waren.
Diese Entwicklung setzte in Bayern erst etwa zwanzig Jahre später und nur vereinzelt ein.

Die Ausdifferenzierung und Spezialisierung der städtischen Gesundheitsfürsorge zeitigte vor allem vermehrte Einrichtungen der Leistungsverwaltung als Fürsorge- und Beratungsstellen, speziell im Bereich der Säuglings- und Mütterberatung, der Tuberkulose-, der Trinker-, der Krüppel- und der Geschlechtskrankenfürsorge.

In der Weiterentwicklung des Deutschen Reiches zu einem Sozialstaat kam besonders der Zeit des 1. Weltkrieges mit dem Aufbau der Kriegsfürsorge eine Art Laboratoriumsfunktion zu.

Indes begründete erst die Weimarer Reichsverfassung den umfassenden Wohlfahrtsstaat, in dem sie die Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit, Maßnahmen zum Schutze der Jugend, von Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfälle des Lebens in den Verfassungsrang erhob. So entwickelte sich auch die auf Einbeziehung möglichst vieler Bevölkerungsanteile bedachte Sozialhygiene erst in der Weimarer Republik von einer Außenseiter- zu einer Leitwissenschaft. Ihre unmittelbare Konkurrenz, die vorwiegend auf Ausgrenzung „minderwertiger“ und „artfremder“ Bevölkerungsanteile bedachte Rassenhygiene konnte sich im Laufe der 20er Jahre auch in Bayern erfolgreich institutionalisieren.

Im ländlichen Bereich blieb aber der staatliche Bezirksarzt bis 1935 eine Einmannbehörde.

Nach dem Aufschwung der kommunalen Gesundheitsämter in der Weimarer Republik bedeutete die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eine Zäsur.

Mit dem „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ (GVG) von 1934 wurde der ÖGD zentralisiert, mit wenigen Ausnahmen verstaatlicht und dem Reichsinnenministerium unterstellt. In Bayern blieben nur die Gesundheitsämter in München, Nürnberg und Augsburg in kommunaler Hand. Durch das GVG erfuhr die Organisation des ÖGD eine grundlegende Umwertung.

Die von den Nazis verordnete „Erb- und Rassenpflege“ stellte eine völlig neue Aufgabe dar. Sukzessive wurde das Gesundheitsamt bis zum Kriegsbeginn zu einem Selektionsapparat im Sinne der „Auslese“ aller „Minderwertigen“ und „Artfremden“ umfunktioniert und arbeitete kräftig mit an der Realisierung eines Apartheidstaates nach Innen.

Millionen von Menschen gerieten ins Fadenkreuz der „Erbpolizei“. Diese inhumane Gesundheits- und Sozialpolitik führte im Reich zu etwa 400.000 Opfern von Zwangssterilisierungen, Tausenden von Schwangerschaftsabbrüchen sowie Zehntausenden von Heiratskandidaten, denen der Hafen der Ehe aus „erbpflegerischen“ Gründen verschlossen oder zumindest staatliche Förderung verwehrt blieb und kulminierte in der administrativen Zuarbeit zum organisierten Krankenmord während des Krieges.


In der Abwicklung des Krankenmordes tat sich eigenmächtig insbesondere die Gesundheitsabteilung im bayerischen Innenministerium mit dem „Hungerkosterlaß“ vom 30.11.1942 an die Leiter der bayerischen Heil- und Pflegeanstalten hervor.

Nach Kriegsende befürchteten die Amerikaner angesichts der desolaten infrastrukturellen Zustände und des unaufhaltsamen Zustroms von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern und der Hundertausende noch in Lagern gehaltenen „Displaced Persons“ den Ausbruch von Hungersnot und Seuchen. Deshalb wurden die meisten der sich noch im Dienst befindlichen Amtsärzte weiter beschäftigt und mit seuchenhygienischen Präventionsmaßnahmen betraut.

Erst nach der Implementierung einer provisorischen Bayerischen Staatsregierung und einer daraus resultierenden Konsolidierungsphase staatlicher Politik begann ab März 1946 die durch das Befreiungsgesetz kodifizierte Entnazifizierung.
Sie führte zu einer vorübergehenden personellen Schwächung der Gesundheitsämter, da der NS-Organisationsgrad der Amtsärzte und ihrer Mitarbeiter sehr hoch war.
Der Ausbruch größerer Epidemien konnte dennoch verhindert werden.

Spätestens 1949 wurden viele der bisher vom öffentlichen Dienst ausgeschlossenen „Mitläufer“ oder „Minderbelasteten“ ohnehin wieder in den Staatsdienst übernommen.

Insgesamt gelang dem Bayerischen ÖGD unter Rückbesinnung auf seine gesundheitspolizeilichen Tugenden bereits in den ersten 5 Nachkriegsjahren eine erstaunliche Wiederaufbauleistung. Notgedrungen wurden auch fürsorgerische Maßnahmen wieder intensiviert, die jedoch häufig noch beeinflusst blieben vom Gedankengut der „Erb- und Rassenpflege“, das, begrifflich den demokratischen Gepflogenheiten der Bundesrepublik nur notdürftig angepasst, als „qualitative Bevölkerungspolitik“ bis weit in die 60er Jahre hinein virulent blieb.
Insofern war der Bayerische ÖGD in den Nachkriegsjahren durch eine erstaunliche inhaltliche und personelle Kontinuität  geprägt.


Das Organisationsgesetz GVG zementierte diesen Status in der jungen Bundesrepublik zumindest strukturell bis weit in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts.


Eine Aufarbeitung der Rolle des ÖGD in der NS-Zeit fand bis in die 90er Jahre hinein nur vereinzelt statt. Dafür feierte man in den 50er und 60er Jahren vor allem, die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 ausblendend, die eigenen großen Leistungen der Vor- und Nachkriegszeit und lamentierte unisono über das schleichende Abgleiten in die drohende Bedeutungslosigkeit nach Gründung der Bundesrepublik.

Weiterführend:
„Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus“
Denkschrift von Dr. Johannes Donhauser, MOR, Gesundheitsamt im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen

Autor: Andreas Kaunzner